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Angst – was willst du von mir?

Wann hatten Sie das letzte Mal Angst? Erinnern Sie sich? Wie war die Situation? Wie stark war das Gefühl ausgeprägt? Um was ging es genau, sodass die Angst entstehen konnte? Ich habe auch gerade mal für mich nachgedacht. Es ist noch gar nicht lange her und ohne ins Detail zu gehen, kann ich doch sagen, dass es ein für mich existentielles Thema war. Da stand auf einmal eine Option im Raum, eine Möglichkeit der Lebensentwicklung, die mir so gar nicht gefiel. Die Tatsache, dass diese Möglichkeit real werden könnte, machte mir Angst. Die Ärzte Zeitung berichtet in ihrer Ausgabe vom 07.09.17 über die derzeit größten Ängste der Deutschen. Ein großer Versicherungskonzern hat jüngst dazu eine Studie erstellt (R+V-Studie: PDF am Ende des Artikels). Insgesamt ist das Angstniveau gerade in Deutschland auffallend hoch – und wer kennt ihn nicht, den Begriff „German Angst“? Und auch wenn die Angst der Deutschen im Vergleich zum Vorjahr gesunken ist, so fürchten wir uns deutlich mehr als in den Jahren 2012 bis 2015.
Wovor fürchten sich die Menschen? Während die wirtschaftlichen Sorgen im Allgemeinen in den Hintergrund gerückt sind (hierzu zählen: Verschlechterung der Wirtschaftslage, Arbeitsplatzverlust), fürchtet sich der Deutsche insbesondere vor Terrorismus (Platz 1), politischem Extremismus (Platz 2) und Spannungen durch die Immigration (Platz 3). Und schon auf Platz 5 folgt ein Thema, das die Gesundheit bedrohen kann: die Angst vor Schadstoffen in Lebensmitteln. Ein weiteres Gesundheitsthema ist unter den Top 10-Ängsten zu finden: die Angst im Alter ein Pflegefall zu werden. So weit – so bemerkenswert. Mit meiner Angst, die ich eingangs erwähnt habe, hat das alles nichts zu tun.

Warum haben wir Angst? Wozu ist Angst gut?

Das Gefühl ist ein Schutzmechanismus. Wir brauchen Angst! Sie sorgt dafür, dass wir lebensbedrohliche Risiken meiden. Wenn man so will, sorgt die Angst für den Arterhalt. Das galt natürlich insbesondere für unsere Urururahnen. Die waren darauf angewiesen, dass sie sehr hellhörig und aufmerksam in Sachen Bedrohungen waren. Nur wer sich rechtzeitig vor einem Unwetter, vor einem feindlichen Stamm, vor gefährlichen Tieren in Sicherheit brachte, hat wohlmöglich überlebt. Leichtfertigkeit endetet dagegen eher tödlich. Diese Fähigkeit, in besonderem Maße auf Bedrohungen zu achten, tragen wir heute immer noch in uns. Doch gibt es auch einen großen Unterschied zwischen unseren Urururahnen und uns heute. Die massiven lebensbedrohlichen Situationen, denen unsere Vorfahren immer wieder ausgesetzt waren, existieren in der heutigen Zeit und in der derzeitigen Lebenslage in unserem Land nicht mehr. Und auch wenn die Angst vor Terrorismus momentan Platz 1 der Angstrangliste besetzt, so leben wir tendenziell sehr sicher. Die ständigen, gefährlichen Lebensumstände, denen unsere Vorfahren ausgesetzt waren, erleben wir hier heute zum Glück nicht. Ich weiß, dass das in anderen Regionen der Erde leider ganz anders ist. Deshalb beziehe ich mich mit meinen Aussagen ausdrücklich auf uns in Nordeuropa. Wenn ich jetzt erneut auf mein oben erwähntes Angstthema schaue, so ist auch dieses nicht lebensbedrohend. Und trotzdem hatte das Gefühl eine sehr starke Kraft. Wir leben in dem Luxus, dass wir uns eben nicht permanent in einer real äußerst bedrohlichen Lage befinden. Und dennoch ist sie da – die Angst. Die Medien sind nicht ganz unschuldig an dieser Tatsache. Sie schüren unsere tief in uns verankerten Angstmechanismen. Dramatik bringt leider Quote. Darüber hinaus sollten wir auch unsere Historie und die Prägungen unserer Eltern und Großeltern nicht übersehen. Der zweite Weltkrieg hat viele Menschen traumatisiert, was in den meisten Fällen nie behandelt wurde. Schweigen war das Motto und so wurden Traumatisierungen und posttraumatische Belastungsstörungen über die Generationen weitergegeben allein durch das Verhalten, das die Folgegeneration prägte. Und so sind wir Meister darin, Angst zu haben. Im Großen wie im Kleinen. Und ich will gar nicht das Gefühl Angst schlecht reden. Wie gesagt, es ist wichtig und hat seine Daseinsberechtigung. Aber – und ich hoffe, der geneigte Leser erwartet dieses „Aber“ – unsere heute weitverbreitet diffuse Angst vor nicht real bestehenden Bedrohungen kann uns blockieren und uns zu Vermeidungsverhalten verführen. Dessen sollten wir uns unbedingt bewusst sein. Ängstlich alles zu vermeiden, was gefährlich werden könnte, sorgt im Extremfall für quasi Erstarrung. Wir können uns nicht schützen vor allen Eventualitäten, auch wenn Versicherer versuchen, uns dies einzureden. Alles zu meiden, Rückzug in den verschiedenen Kontexten des Lebens, macht uns unlebendig. Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um. Ja, der kommt um – vor lauter Langeweile. Wir Menschen brauchen Impulse in unserem Leben, wir können uns nur entwickeln, wenn wir immer wieder neue Erfahrungen machen, aus denen wir Erkenntnisse ziehen. Ein kluger Mensch sagte mal: Das Altern setzt ein, wenn ich aufhöre neugierig zu sein. Natürlich kann ich die Sorgen verstehen, die wir zum Beispiel wegen des Terrorismus in der Welt spüren. Und der Terror lebt ja auch davon, so wenig greifbar zu sein. Dieses Diffuse, nicht Greifbare schürt das ungute Gefühl. Doch genauso wie unser Vorfahr können wir uns nicht entziehen, wenn wir die Lebendigkeit des Lebens in all seinen Facetten weiter genießen wollen. Wir können nicht wissen, wann wirklich was passiert. Wir können lediglich die Sorge und die Befürchtung als genau jenes enttarnen und beides immer wieder als nicht den Tatsachen entsprechend erkennen (sofern dies in dem jeweiligen Moment der Realität entspricht). Pema Chödrön macht den Vorschlag: „Da wo die Angst ist, da geht´s lang.“ Dies ist ein Aufruf, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Ich kann lernen, ein übergroßes Angstmonster in mir zu bändigen. Immer habe ich die freie Wahl, auch wenn diese Wahlfreiheit manch einem nicht präsent ist: Will ich mich von meinen Ängsten beherrschen lassen? Will ich das wirklich? Wenn dem so ist – okay! Dann ist alles super und kann so bleiben. Wenn ich jedoch feststelle, dass ich mich nicht von meinem Angstgefühl beherrschen lassen will, sondern selbst die Macht im eigenen Haus (wieder) innehaben möchte, dann gilt es einen guten Umgang mit dem Angstmonster zu finden. Einen Umgang, der nicht ein Wegstoßen oder Verjagen des Angstungetüms bedeutet. Nein, dieses Viech gehört zu mir, ich werde es nicht los. Es hat seine Daseinsberechtigung. Aber was es nicht darf: Mich beherrschen. Sehen Sie Ihr Angstmonster wie ein Haustier, wie einen Hund. Darf Ihr Hund Sie beherrschen? Eher nicht, oder? Sie bestimmen, der Hund darf da sein. Er hat seine Berechtigung im Leben. Genauso wie Ihre Angst. Mit meiner eingangs beschrieben Angst ist es ähnlich. Die befürchtete Möglichkeit steht nach wie vor im Raum. Sie ist Teil des „bunten Optionen-Blumenstraußes“, den das Leben mir derzeit bietet. Ich habe die Wahl: Ich kann mich auf das worst-case-Szenario/ den Super-GAU einschießen (Nein, so dramatisch ist es gewiss nicht!) und mir großen inneren Stress machen, obwohl ja noch gar nichts tatsächlich eingetreten ist. Und mir sollte klar sein, dass dieses Vorgehen reichlich Kraft kostet, mein Immunsystem schwächt, ich insgesamt weniger leistungsfähig bin, wenn ich mich diesem Denken hingebe.

Achtsamkeit hilft.

Oder aber ich kann von Moment zu Moment schauen, welche Situation eintritt, was ich aktiv verändern und wie ich entsprechend meiner Vorstellungen handeln kann. Natürlich versucht die Angst immer mal wieder Raum zu gewinnen. Doch ist es an mir zu erkennen, dass ich mehr bin. Und wenn ich ein besonders planerischer Mensch bin, habe ich selbstverständlich auch die Möglichkeit, mir im Vorwege bereits Ideen für mein Handeln im jeweiligen eintretenden Fall zurecht zu legen, sodass ich diese Ideen dann bei Bedarf „aus der Schublade“ ziehen kann. ABER: Es gilt, dies lediglich einmal zu überlegen und die Gedanken dann zur Seite zu legen. Ständig auf diesen Plänen rumkauen…- nein, das bitte nicht. Achtsamkeitspraxis kann mir dabei helfen, im Moment zu bleiben, um genau – und zwar ganz genau – zu spüren, „was jetzt ist“. Mit allen mir zur Verfügung stehenden Sinneskanälen kann ich wahrnehmen, wie dieser Moment für mich ausgestaltet ist. Das soll reichen? So simpel? Ja genau, so simpel und zugleich so herausfordernd. Dazu existieren bereits zahlreiche Studienergebnisse. Ein besseres Gefühl wird nicht sofort aufkommen, dafür ist das Angstgefühl und die Gewohnheit, Angst zuzulassen, in vielen Fällen doch sehr ausgeprägt und präsent. Aber nachweislich kann durch passende Übungen eine übermächtige Angst reduziert werden zu Gunsten von mehr Gelassenheit. Es funktioniert. Sie wollen wissen wie? Die erste und simpelste Übung lautet: Fokussieren Sie sich auf Ihren Ausatem. Immer wieder. Dabei dürfen Sie gern die Hände auf dem Bauch platzieren, sodass Sie spüren, wie die Bauchdecke mit jedem Ausatem sinkt. Probieren Sie dies aus, und zwar täglich. Mehrfach. Für mehr: Meine Achtsamkeitsangebote für Gruppen haben ihren Platz derzeit auf meiner Yogawebseite gefunden, den Button zur Seite finden Sie unten. Sollte sich eine ausgeprägte Angststörung bereits entwickelt haben, so sind meist zusätzliche Einzeltermine sinnvoll. AchtsamkeitsangeboteR+V-Studienergebnisse    
Bildquelle: R+V-Infocenter